Es folgen vier verschiedene Versionen der Rotkopf-Görg-Sage vom Zauberschloss im Windberg, eine weitere Windbergsage und die Sage von der Burg auf dem Windberg:
Sage vom Zauberschloss im Windberg
aus: Der Plauische Grund von W.G. Becker, 1799
In Burgk wohnte vor Jahren ein alter Dorfmusikant, der in der ganzen Gegend beliebt war, denn alle Mädchen und Burschen behaupteten, daß sich's nach seiner Geige am besten tanze. Die Beine hoben sich von selbst und auch die ungeschicktesten Tänzer mußten Takt halten, sie mochten wollen oder nicht. Dies lag nun einmal so in seiner Geige. Rotkopfs Görge, so hieß der lustige Fiedler, war also in allen Schänken willkommen und wurde zu allen Kirchweihen und Hochzeitsfesten bestellt. Eines Sonntags, als er den Bauern von Deuben zum Tanze aufgespielt hatte und in der Mitternachtsstunde einsam nach Hause ging, überrechnete er den Ertrag seiner Geige und dachte dann an den künftigen Sonntag, zu welchem er wieder bestellt war. So verging ihm die Zeit und unvermerkt kam er zum Windberg. Da fiel ihm auf einmal das Zauberschloß ein, von dem er in seiner Jugend so viel gehört hatte. „Du bist doch nun,“ sprach er bei sich selbst, „schon manches liebe Jahr und zu jeder Stunde der Nacht da vorübergegangen und hast noch niemals etwas von diesem Zauberschlosse verspürt; wer weiß, ob es wahr ist. Mir sollte niemand erscheinen und mir gebieten zu folgen; ich faßte mir wirklich ein Herz und füllte mir meine Taschen mit Gold. Ja, wer nur den Eingang ins Zauberschloß wüßte!"
„Den will ich dir zeigen," erwiderte ihm ein Mann, den er noch niemals gesehen und der ihm jetzt gerade in den Weg trat. Der arme Görge erschrak so heftig darüber, daß er nicht einmal zurück zu treten vermochte, und so freundlich auch immer die Antwort des Unbekannten erklang, so sah es doch um das Herz, was er sich vorhin zu fassen getraute, gar jämmerlich aus. „Komm, folge mir getrost," versetzte der Berggeist, „du wirst im Schlosse von einer hohen Gesellschaft erwartet, um ihr zum Tanze aufzuspielen; sie wird dich genüglich bezahlen, daß du dein Lebelang hast, was Du brauchst; aber hüte dich ja, im Schlosse zu reden und fordere ja nicht, wenn man dich fragt, was Du für Deine Musik begehrest." Rotkopfs Görge war ganz versteinert vor Schrecken. Der Berggeist ging vor ihm her und winkte ihm zu kommen. Görge folgte, ohne es zu wollen. „Was hälfe es dir auch, wenn Du flöhest," vermochte er doch noch zu denken; „er würde dich bald ergreifen und dir wohl das Genick brechen." Mit Inbrunst stammelte er das stets so bewährte „Alle gute Geister loben pp", was schon so manchem in gleichen Ängsten geholfen, und wankte zitternd hinter ihm drein.
Durch einige schaurige Wege, die unserem Görge, so gut er auch am Windberge Bescheid wußte, gänzlich unbekannt waren, und die er sich auch niemals wiederzufinden getraute, gelangten sie endlich an ein großes leuchtendes Thor, das sich plötzlich, sobald sie in den gräumigen Vorhof getreten waren, von selbst wieder schloß. Der Musikant glaubte, er werde aus diesem bezauberten Schlosse wohl nun nie wieder herauskommen, denn, wenn der Ton seiner Geige dem Berggeist gefiele, so könne es demselben leicht in den Sinn kommen, ihn gar zum Hofmusikanten zu machen. Zwischen Furcht und Staunen geteilt, durchging er den mit Fackeln erleuchteten Vorhof und erblickte dann mehrere prächtige Gebäude und hohe Türme, die kaum, nach dem Augenmaße zu schließen, im Windberge Platz haben konnten, und alles war hell und erleuchtet, wie mitten am Tage. Sein Führer ging stets vor ihm hin und brachte ihn durch das Hauptgebäude in einen großen, von vielen tausend Kerzen erleuchteten Saal, wo eine große Gesellschaft von Herren und Damen in schwarzer, altdeutscher Tracht und mit köstlichen Perlen und Edelgesteinen geschmückt, ihn augenblicklich umringte und von oben bis unten mit scharfen Augen betrachtete. Ihm pochte das Herz gewaltig; sein Führer aber winkte ihm freundlich und führte ihn durch den versammelten Kreis, mit einem Winke andeutend, sich nun auf der Geige hören zu lassen. Auch hier umgaben ihn, während er stimmte, die Herren und Damen, und endlich erhielt er das Zeichen zum Anfang. Es begann eine Art von Tanz, dergleichen er weder in Burgk, noch in Deuben , noch auf andern Dörfern umher jemals gesehen hatte. Das Sonderbarste von allem war aber, daß er dazu mit der größten Fertigkeit eine Musik spielte, die er in seinem Leben noch niemals gehört hatte und von welcher er auch nachher nie wieder einen Ton hervorbringen konnte. Als sich die Gesellschaft ungefähr eine Stunde - nach seinem Bedünken - mit dem Tanze belustigt hatte, kam jedes Paar mit ernsthaften Schritten und schweigend auf ihn zu, und nun betrachteten sie ihn mit Blicken, vor welchen seine Augen zu Boden sanken. Endlich trat einer der Herren aus dem Kreise hervor und sagte: „Was forderst Du für eine Belohnung?" Bei allem Angstschweiße gedachte doch Görge der Ermahnung des Führers; er zog seinen zwischen die Knie geklemmten Hut hervor, hielt ihn mit demütigender Gebärde offen vor sich hin und gab durch eine Bewegung zu erkennen, als sei er mit allem zufrieden. Da ergriff der nämliche Herr eine Kohlenschaufel, fuhr damit in den Haufen der im Kamine glühenden Kohlen und schüttete sie in den Hut Görgens. Der Musikant entsetzte nicht wenig darüber, allein in demselben Augenblicke trat der bekannte Führer herbei und winkte ihm freundlich, er solle ihm folgen. Görge gehorchte sogleich und sah sich in kurzem zu eben demselben Thore zurückgeleitet, durch welches der freundliche Mann ihn eingeführt hatte. In diesem Augenblicke war auch der Führer und mit ihm die ganze Erscheinung verschwunden. Görge aber befand sich, von der finstersten Nacht umhüllt, auf dem nämlichen Platze, wo ihm der Geist in den Weg getreten war.
Nachdem er sich von seiner betäubenden Angst wieder ein wenig erholt hatte, verfolgte er den wohlbekannten Heimweg mit eiligen Schritten und dachte der wunderbaren Begebenheit nach. Er ärgerte sich ingeheim nicht wenig über die höllische Belohnung, die er in seinem Hut mit sich trug, und hätte die Kohlen gern auf die Seite geworfen, wenn er nicht die vermeinten bösen Geister, die im Windberge hausten, wider sich aufzubringen gefürchtet hätte. Es war ihm ohnedies nicht wohl zumute, da der Hut immer schwerer wurde; die Last nahm mit jedem Schritte zu, und kaum vermochte er sie mehr zu tragen. Allein die Furcht gab ihm die Kräfte, und so schleppte er sie geduldig mit sich fort. Kaum hatte er aber seine Wohnung erreicht und die Haustüre aufgeschlossen, so schüttete er die schweren Kohlen nebst dem, was sie sonst noch erschwert haben mochte, mit einem Male auf die Seite und warf die Thür geschwind hinter sich zu. Er kroch so schnell als möglich in sein Bett, zog die Decke über den Kopf weg und drückte die Augen so fest zu als er konnte. Allein die Bilder des Zauberschlosses schwebten ihm noch immer vor Augen, bis endlich die Müdigkeit der Einbildungskraft Einhalt that und der Görge mit Leib und Seele in einen tiefen Schlaf versank.
Als er am Morgen erwachte, stand der ganze Zauber mit aller Lebhaftigkeit wieder vor ihm da. Er sprang sogleich aus dem Bette, um seinen Hut zu besehen, der nach seiner Meinung gänzlich verbrannt sein mußte; aber zu seinem größten Erstaunen fand er den Hut unversehrt. Indem er ihn von allen Seiten herumdrehte, fiel aus einer kleinen Öffnung im Futter ein Goldstück heraus, dergleichen er noch nie eines in Händen gehabt hatte. Da enträtselte sich ihm nun die Belohnung mit den glühenden Kohlen, sowie die sich immer vermehrende Schwere derselben. Mit großer Begierde sprang er vor's Haus, nach den ausgeschütteten Kohlen zu sehen, allein statt der gehofften Goldstücke fand er nichts als ein Häufchen echter Steinkohlen. Er raffte sie alle emsig zusammen und trug sie hinein auf den Tisch; aber sie wollten weder erglühen, noch sich in Gold verwandeln. Er that sie wieder in den Hut, doch auch dieser Versuch lief fruchtlos ab.
Da stand nun Rotkopfs Görge und kratzte sich hinter den Ohren, daß er sein Glück so verscherzt hatte. Das in dem Hute gefundene Goldstück machte ihn ärmer, als er gewesen war, weil es ihn beständig an seinen Verlust erinnerte. Da er aber als ein lustiger Spielmann von Natur keinen Hang zur Schwermut besaß, so ergab er sich endlich darin, und nach einigen Jahren schien er sogar froh darüber, daß er nicht zum reichen Manne geworden war. Zuweilen sprach er: „Schon das eine Goldstück hat mir Unmut und Sorgen genug gemacht, wie sehr würde mich nicht erst ein ganzer Hut voll solcher Goldstücke gepeinigt haben!"
Rothkopf's Jürge, der Fiedler von Burgk
aus: Sächsische Volks-Sagen, Heft 10, aufgeschrieben von Oskar Gießler, 1860
Der Wind strich gewaltig durch die Bäume die den westlichen Fuß des Windbergs im Plauen'schen Grund umsäumten und es raschelte gar herbstlich in den dürren Blättern, die des Novembers eisige Gewalt dem Walde abgestreift hatte. Der einsame Wanderer, welcher in dieser finsteren, ungastlichen Nacht den Windberg auf der Seite nach Deuben zu emporklimmte, fror auch sehr und hüllte sich tiefer in einen alten Mantel, unter welchem die sonderbare Gestalt auch noch eine wurmstichige Fiedel verbarg. Ein schlechter Filzhut deckte den breiten Kopf und dessen verworrene rothgraue Haare und an den Beinen schlotterten ein Paar schmutzige Strümpfe, welche in kurzen Kniehosen steckten. Die ganze äußere Erscheinung machte den Eindruck völligen Herabgekommenseins und würde am Tage inniges Mitleid in fühlenden Menschenherzen erweckt haben, wenn das Gesicht des Mannes nur ein wenig dazu harmoniert hätte.
Aus diesem Antlitz war jedoch nichts von Kummer und Besorgnis zu erblicken; die Augen blitzten fröhlich und fast etwas übermüthig in die Welt hinaus und sprachen von Lebensfreude und Frohsinn trotz der rothgrauen Haare, die den behäbigen Kopf umrahmten. Der alte Fiedler - denn das war er und das Dorf Burgk auf der Lehne des Windbergs nannte er seine Heimath - war in der ganzen Gegend wegen seiner künstlerischen Bravour und seiner immer heiteren Laune wohlbekannt und bei Alt und Jung wohlgelitten. Ein Conservatorium oder sonst eine höhere oder niedere Musikschule hatte er zwar nicht besucht, aber die Burschen und Mädchen im Grunde behaupteten doch, Niemand könne schöner zum Tanze aufspielen als Rothkopf's Jürge, wie man ihn wegen seiner früher brandroth gewesenen Haare allgemein benannte. Nach Jürges Geige, erklärten die erfahrensten Tänzerinnen, tanze sich es am Besten; die Beine höben sich wie von selbst und auch die ungeschicktesten Tänzer müssten Tact halten, sie möchten wollen oder nicht. Dies lag nun einmal in des Rothkopfs Zaubergeige. Der lustige Fiedler war in allen Schänken des Grundes willkommen und wurde zu allen Kirmeßen und Hochzeiten bestellt. Das wußte man schon gar nicht anders und es ging nicht fort, wenn der allezeit gut aufgelegte Jürge zum Tanze fehlte.
Jürge war sich dieses Umstandes auch recht wohl bewußt und besaß Künstlerstolz gerade genug, um diese Sympathie für ganz natürlich zu finden. Auf seine Aeußerlichkeit hielt er eben nichts, wie so viele andere große Künstler, die den edlen Wein ihres Talents in schmutzigen Gefässen darzubieten pflegen und sich immer selbst genug zu sein einbilden. Der Fiedler von Burgk hatte nur den einen Ehrgeiz: sich selbst und seinem Publikum zu gefallen; daß er nebenbei auf gut und viel Essen und Trinken hielt, kann bei seiner total künstlermäßigen Anlage nicht besonders auffallen.
"Ich bin eigentlich ein rechter Narr," philosophirte er im Gehen ziemlich laut vor sich hin, wie er zu thun liebte, wenn er des "süßen Weines voll" war, "daß ich den Pfahlbauern da unten für so wenig Geld so viel Vergnügen mache. Gäbe es mir nicht selber einen rechtschaffenen Spaß, ich würde ihnen heute Abend den "lustigen Musikanten" unter keinen Umständen dreimal auf Verlangen gesungen, gespielt und getanzt haben. Aber es macht sich doch hübsch, das Ding!"
Und von der Erinnerung hingerissen, sang er lustig in die Novembernacht hinaus:
"Ein Musikant, das ist ein Mensch,
Will essen und will schlucken
Besonders wenn der Abend kommt,
Das sind so seine Mucken.
Sieht er die vollen Gläser stehn,
So nimmt er seine Geigen,
Und läßt dabei, empfindsam, schön,
'Ne freud'ge Weise streichen."
Darnach pfiff er mit dem Munde eine rechte Schelmenmelodie und hob die alten Beine wie im Ballett dazu. Das ging nun so eine gute Weile, bis ein plötzliches Stolpern über eine Baumwurzel dem Spaße ein jähes Ende bereitete. Rothkopf's Jürge lag ausgestreckt im Grase und die Geige, welche er unter dem Arme trug, hatte einen sehr hörbaren, verdächtigen Klagelaut ausgestoßen.
Jürge richtete sich verdutzt auf und betastete zunächst sein Heiligthum, seine geliebte Geige. Er glaubte sich überzeugt halten zu können, daß dem Instrument nichts Ernsthaftes widerfahren sei und zeigte sich darüber sehr befriedigt.
"Hm, hm! fatale Geschichte!" brummte er vor sich hin und schob die Geige sorgsam unter ihr Versteck, indeß er den alten Lappen bedachtsam wieder umwickelte, der ihre Futteral vorstellte. Dann erhob er sich mühselig und sagte lachend: "Wenn meine Brodwinsel einen Leck gekriegt hätte, wäre mir der Ersatz auch nicht leicht gewesen. Sechs Groschen habe ich heute verdient und soll damit bis zum nächsten Sonntag vegetiren, wo ich zum Valentin Lange bestellt bin, der seinen Aeltesten an die dumme, reiche Käthe vom Schulzen Meyer koppeln läßt. Vergiss es nur nicht, alter leichtsinniger Strolch!"
Diese keineswegs höfliche Mahnung war an seine eigene Adresse gerichtet und etwas stark ernüchtert tappte Jürge seinen Weg weiter, in Gedanken noch redend, wie er die verdienten sechs Groschen auf die nachfolgenden sieben Wochentage am Zweckmäßigsten vertheilen könne. Die Glocke am Kirchthurme zu Döhlen im Grunde schlug die zwölfte Stunde aus. Der Wind trug den Schall recht deutlich an das Ohr des nächtlichen Wanderers.
"Die Geisterstunde!" murmelte dieser und blieb wieder stehen. "Bei dem Worte Geister fällt mir auf einmal das Zauberschloß ein, von welchem ich in meiner grauen Vorzeit schon so viel gehört habe. Hier im Innern des Windbergs soll es stehen, wie auch auf dem Gipfel des Berges sich auch dereinst ein Schloß befunden haben soll. Narrenspossen, nichts weiter!" sagte er lachend; "den Baumeister möchte ich kennen lernen, der das fertig brächte, im Innern eines Berges etwas Gescheidtes zu bauen."
Der Geiger humpelte weiter und sprach dabei zu seiner eigenen Belehrung nach Art der "Angesäuselten" zu sich selber: "Jürge du bist doch sonst ein gescheiter Kerl und hast das Herz auf dem rechten Flecke, aber von dem Zauberschlosse spürest du noch nichts, so oft du auch am Windberge zu jeder Stunde der Nacht vorübergegangen bist. S'ist eitel Trug und Wind - Wind, wie dieser da, der es mit mir so gut meint!"
Dabei streckte er die Hand nach dem Norden aus, von woher der Novemberwind frostig herüberstrich. Dann fuhr er in seinem Monologe fort:
"Mir sollte Niemand erscheinen und mir gebieten, ihm zu folgen, ich faßte mir wirklich ein Herz und füllte mir meine Tasche mit Gold. Ja, Jürge, wenn du nur den Eingang in's Zauberschloß wüßtest!" "Den will ich Dir zeigen, lieber Mann!" erwiderte ihm eine kleine räthselhafte Gestalt, die er plötzlich vor sich sah, und die ihm nun gerade in den Weg trat.
Mit der eingebildeten Courage des Fiedlers war es nichts; der arme Jürge erschrak so gewaltig über den fremden Mann, daß er nicht einmal zurückzutreten vermochte, und so freundlich auch immerhin die Antwort des Unbekannten erklang, so sah es doch um das Herz, was er sich vorhin zu fassen getraute, gar jämmerlich aus. Jürge's Zähne klapperten im Sechsachtel-Tact.
"Komm, folge mir getrost", versetzte der Berggeist, "Du wirst im Schlosse von einer hohen Gesellschaft erwartet, um ihr zum Tanze zu spielen, sie wird Dich gut bezahlen, so daß Du Dein Lebelang haben wirst, was Du brauchst. Hüte dich aber ja, im Schlosse zu reden und fordere ja nicht, wenn man dich fragt, was Du für Deine Musik begehrst. Nimm unbesehen, was man dir giebt, - und wohl bekomm Dir's, Jürge!"
Der Rothkopf war ganz versteinert vor Schrecken.
Endlich fand seine angeborene Keckheit wieder Worte: "Wohlbekommen? Das wird es schon, wenn ich nur erst etwas hätte!" platzte er heraus. "Aber, hochgeborener Herr Geist," setzte er zögernd hinzu, "für meinen Hals ist doch nichts zu riskieren? Man sagt, die Geister hätten manchmal so heimtückische Manieren mit dem Halsumdrehen und dergleichen. Ich muß gestehen, ich bin am Halse etwas kitzlich und überhaupt ein närrischer Kerl in der Art: verdreht bin ich manchmal, aber abgedreht möchte ich doch noch nicht werden."
"Sei unbesorgt, es soll Dir nichts geschehen!" versicherte der Berggeist und schritt vor ihm her, ihm zu folgen winkend. Jürge gehorchte, ohne es eigentlich zu wollen. "Was würde es Dir auch helfen, wenn Du jetzt fliehen wolltest," vermochte er doch bei sich zu denken, "er würde Dich bald ergreifen und Dir wohl gar auf der Stelle das Genick brechen."
Mit Inbrunst stammelte er das stets so bewährte Sprüchlein: "Alle guten Geister loben ihren Meister!", was schon so Manchem in gleichen Aengsten geholfen hat, und wankte zitternd hinter dem Berggeist drein.
Durch einige schaurige Wege, die Jürgen, so gut er auch am Windberge Bescheid wußte, doch gänzlich unbekannt waren, und die er sich auch niemals wiederzufinden getraute, gelangten sie endlich an ein großes leuchtendes Thor, das sich plötzlich, sobald sie in den geräumigen Vorhof getreten waren, von selber wieder schloß.
Der arme Musikant glaubte beinahe, er werde aus diesem bezauberten Schlosse wohl niemals wieder herauskommen, denn wenn seine Kunst den Herren Berggeistern gefiele, so könne es denselben leicht in den Sinn kommen, ihn gar zum Hofmusikanten zu machen und ganz im Bauche der Erde zu behalten. Vor diesem Bauche hatte er stets einen unsinnigen Respect gehabt.
Zwischen Furcht und Erstaunen getheilt, durchging er den mit Fackeln erleuchteten Vorhof und erblickte dann mehrere prächtige und hohe Gebäude und Thürme, die nach seinem Augenmaße beurtheilt wohl kaum im Windberge Platz haben konnten. Alles war hell und prächtig erleuchtet, wie am Tage.
Sein Führer ging stets vor ihm her und brachte ihn durch das Hauptgebäude in einen großen von vielen tausend Kerzen belichteten Saal, wo eine zahlreiche Gesellschaft von Herren und Damen in schwarzer altdeutscher Tracht und mit köstlichen Perlen und Edelsteinen geschmückt, ihn augenblicklich umringte und von oben bis unten mit großen Augen betrachtete.
Jürge verneigte sich nach allen Seiten auf echte Künstlerart, wenn ihm auch das Herz gewaltig gegen die Rippen pochte; er fühlte wohl, daß sein Anzug in diesem Kreise nicht für salonfähig angesehen würde, was ihn einigermaßen beengte und suchte die sichtbarsten Blößen seines Wammses mit dem vorgehaltenen Schlapphute zu bedecken. "Die müssen lange keinen ordentlichen Menschen gesehen haben", dachte er.
Der Führer winkte ihm sehr freundlich zum Nähertreten und führte ihn durch den versammelten Kreis der Geister zu einem Kamin mit dem nicht mißzuverstehenden Winke, sich nun auf der Geige hören zu lassen.
Auch hier umgaben ihn, während er ängstlich und gewissenhaft stimmte, die gespenstigen Herren und Damen, und endlich erhielt er das Zeichen zum Anfang. Was aber sollte er spielen? Er wußte es noch immer kaum, denn er kannte ja die Tänze der Herren Burggeister nicht. Er fing endlich auf gut Glück - den Großvaterreigen zu spielen an.
Es begann nunmehr eine Art Tanz, desgleichen er weder in Burgk, noch in Döhlen oder Deuben, noch auf den anderen Dörfern rings umher jemals gesehen hatte. Das Sonderbarste von Allem war aber, daß er dazu mit der größten Fertigkeit eine Musik spielte, die er in seinem Leben selbst noch niemals gehört hatte und von der er auch nachher nie wieder einen Ton hervorbringen konnte. Er ließ sich gehörig auf der Geige gehen und phantasierte nach Künstlerbrauch derart von Einem ins Andere, daß er nicht mehr wußte, wo aus noch ein, und ihm der Schweiß in großen Tropfen von der Stirne rann. Der Saal bevölkerte sich während des Tanzes mit unheimlichen Gestalten in den abenteuerlichsten Formen. Drachen und Geier, Affen und Katzen nahmen am gespenstigen Reigen Theil; sie umschwirrten den Geiger und suchten ihn irre zu machen.
Jürge stand wie eine Mauer, wenn ihm auch die Augen fast aus den Höhlen traten über das niegesehene Schauspiel.
Sein Führer, welcher nicht aus seiner Nähe gewichen war, raunte ihm zu: "Spiele fort, und wenn die Hölle ihre ganzen Spukgestalten schickte, - und fordere nichts für Dein Spiel, Du müßtest es theuer bezahlen!"
Jürge spielte fort, spielte mit Aufbietung seiner ganzen Kraft wohl eine Stunde lang. Endlich ermatteten die Burggeister im Tanze und es trat eine schreckliche Stille ein. Alles um ihn herum stand unbeweglich und Jürge fühlte, daß nunmehr die Versuchung an ihn herankommen würde. Jedes Paar kam mit ernsthaften Schritten und schweigend auf den Fiedler zu und nun betrachteten sie ihn mit Blicken, vor welchen seine Augen zu Boden sanken. Endlich trat einer der Herren aus dem Kreise hervor und fragte: "Was forderst Du für eine Belohnung? Was sind wir Dir für Deine Dienste schuldig?"
Bei allem Angstschweiß gedachte doch Jürge der Ermahnung des Führers: er zog seinen zwischen die Knie geklemmten Hut hervor, hielt ihn mit demüthiger Geberde offen vor sich hin und gab durch eine Bewegung zu erkennen, er sei mit Allem zufrieden. Im Innern aber sprach er zu sich selbst: "Ich fordere nichts, ich weiß schon warum, hi hi! Ich bin ein närrischer Kerl in der Art!"
"Du forderst nichts? Nun denn, so begnüge Dich mit dem, was man Dir giebt!" versetzte der Geist und ergriff eine Kohlenschaufel. Mit dieser fuhr er in den Haufen der im Kamine glühenden Kohlen und schüttete eine tüchtige Portion derselben Jürgen in den Hut.
"Was? lumpige Kohlen und glühend? - Und die soll ich nach Hause tragen? - O Undank!" dachte der entsetzte Fiedler, hütete sich aber wohl, die Kohlen wegzuschütten.
In demselben Augenblicke trat der bekannte Führer wieder herbei und winkte ihm freundlich, daß er ihm folgen solle. Jürgen gehorchte sogleich voll banger Erwartung, was weiter folgen werde, konnte sich aber doch nicht enthalten, noch einmal umzublicken.
Da erscholl ein mächtiger Glockenschlag: "Eins!" Die Geister des Berges sanken plötzlich nieder, der Führer aber verwandelte sich in einen herrlichen Cherub, der die Palme des Friedens über die Häupter der Herren und Damen schwang.
"Erlöst, erlöst!" riefen diese und fielen in Asche zusammen.
"Der Bann ist gebrochen!" sprach der Cherub feierlich. "Es kam nunmehr ein Geiger in den Berg, der Euch zum Tanze aufspielte und nichts dafür begehrte. Seit hundert Jahren habt Ihr das ersehnt, nun gehet ein zur ewigen Ruhe, Gott zürnt nicht ewig!"
Jürge wußte nicht, wie er hinauskommen sollte, als eine volle Stimme ihm befahlt: "Entferne Dich!"
Er lief in blinder Angst zur ersten besten Thüre hinaus und fand auch unbewußt das Eingangsthor, durch welches er eingeführt worden war. Als er es erreicht hatte, war das Thor, der Palast und die ganze Erscheinung verschwunden.
Rothkopf's Jürge befand sich, von der finstersten Nacht umhüllt, auf dem nämlichen Platze, wo ihm der Geist zuerst in den Weg getreten war.
Er rieb sich die Augen, wie aus einem schweren Traume erwachend; nüchtern war er geworden, dafür glaubte er bürgen zu können. Nachdem er sich von seiner betäubenden Angst wieder ein wenig erholt hatte, verfolgte er den wohlbekannten Heimweg mit eiligen Schritten und dachte der wunderbaren Begebenheit nach. Er ärgerte sich im Geheimen über die höllische Belohnung, die er in seinem Hute noch immer vor sich hintrug; gern hätte er die Kohlen auf die Seite geworfen, wenn er nicht die vermeinten bösen Geister, die im Windberge hausten, wider sich aufzubringen befürchtete. Es war ihm ohnedies nicht wohl dabei zu Muthe, daß der Hut immer schwerer wurde; die Last nahm mit jedem Schritte zu und kaum vermochte er sie mehr zu tragen. Allein die Furcht verlieh ihm Kräfte und so schleppte er die Kohlen geduldig mit fort.
Kaum aber hatte der Fiedler seine Wohnung erreicht und die Hausthür aufgeschlossen, so schüttete er die schweren Kohlen nebst dem, was sie sonst noch erschwert haben mochte, mit einem Male auf die Seite und warf die Thüre hinter sich zu. Er kroch so eilig als möglich in sein Bette, zog die Decke über den Kopf und drückte unter derselben die Augen so fest zu, als er nur konnte. Trotzdem schwebten ihm die Bilder des Zauberschlosses noch immer vor den Augen, bis endlich die Müdigkeit dem Schaffensdrange seiner Einbildungskraft Einhalt that und der ganze Jürge mit Leib und Seele in einen tiefen Schlaf versank.
Als er am Morgen erwachte, stand der ganze Zauberspuk wieder lebendig vor seinem Geiste. Er sprang sogleich aus dem Bette, um seinen Hut zu besehen, der seiner Meinung nach ganz verbrannt sein mußte, fand aber zu seinem größten Erstaunen den Hut unversehrt.
Indem er seinen Hauptschmuck verwundert von allen Seiten herumdrehte, fiel aus einer kleinen Oeffnung im Futter ein Goldstück heraus, dergleichen er noch nie eins in Händen gehabt hatte. Auf einmal enträthselte sich ihm nun die Belohnung mit dem glühenden Kohlen, sowie der Umstand, daß dieselben sich immer mehr erschwert hatten.
"O ich Esel!" war Alles, was er in diesem Augenblicke zu denken vermochte, dann sprang er mit großer Begierde vor das Haus, um nach den ausgeschütteten Kohlen zu sehen, allein statt der gehofften Goldstücke fand er nichts als ein Häufchen todter Steinkohlen.
Eine Hoffnung erfaßte Jürgen: die Kohlen konnten sich doch noch in Gold zurückverwandeln! Er raffte sie alle emsig zusammen und trug sie auf einen Tisch, wo er jede einzelne Kohle umwandte und betrachtete.
Vergebenes Hoffen! Sie wollten weder erglühen, noch sich in Gold verwandeln. Er that die Kohlen wieder in den Hut, vielleicht daß diesem eine Zauberkraft bewahrt geblieben sei. Der schäbige Filz ließ ihn sitzen; er that seine Schuldigkeit nicht, die Kohlen blieben Kohlen und auch dieser letzte Versuch lief fruchtlos ab.
"Jürge, Jürge, Du bist ein großer Meister in der Kunst, aber sonst ein recht unpraktisches Möbel", rief Jürge erzürnt über sich selbst aus. "In dieser Affaire hast Du Dich als ein colossales Rhinoceros benommen, schäme dich, Jürge! Aber wer, zum Teufel," polterte er noch heftiger heraus, "konnte auch denken, daß die glühenden Kohlen eigentlich glühendes Gold waren. Und ich habe mir so viele Mühe beim Geistertanze gegeben! War das eine Todtenpolonaise, von der Angst componirt und von der Verzweiflung heruntergestrichen! Ich werde an das Zauberschloß gedenken."
Da stand nun Rothkopf's Jürge und kratzte sich hinter den Ohren, daß er sein Glück so verscherzt hatte. Das in dem Hute gefundene Goldstück machte ihn ärmer, als er früher gewesen war, weil es ihn beständig an seinen Verlust erinnerte. Da er aber als lustiger Spielmann von Natur keinen Hang zur Schwermuth besaß, so ergab er sich endlich darein und nach einigen Tagen schien er sogar froh, daß er nicht zum reichen Manne geworden war. Als sorgloser, mittheilsamer Kunde, wie er war, hatte er sein Abenteuer am Windberge nicht zu verschweigen vermocht und plauderte bei einem Tanze in der "Rothen Schänke" zu Döhlen einigen Bekannten aus.
"Kinder," sprach er dann, als ihm seine Freunde ihr Beileid über den verlorenen Schatz aussprachen, "es ist besser so, wie es kam! Schon das eine Goldstück hat mir Unmuth und Sorge genug gemacht, wie sehr würde mich nicht erst ein ganzer Hut voll solcher Goldstücke gepeinigt haben. Im Kopfe sitzt das Gold, wer's da nicht herauszuschlagen versteht, bleibt ein armer Tropf, trotz allen sonstigen Reichthums. Ein Künstler muß das Gelübde der Armuth treulich halten, denn die Muse will nicht in goldener Livrey bedient sein. Es lebe die Göttin Musika!"
Darauf ergriff er seine alte Fiedel, welche zum Glück bei der Geistererlösung heil und ganz geblieben war und mit dem Rothkopfe bis an sein seliges Ende in bester Kameradschaft lebte, und begleitete sich darauf selbst zu folgendem launigen Verse:
Es ist das Musikantenleb'n
Das Bunteste von allen,
Und hat, so lang ich denken kann,
Am Besten mir gefallen.
Geht's schlecht und fehlt das liebe Geld,
So nimmt man seine Geigen,
Und läßt dabei, empfindsam, schön,
'Ne lust'ge Weise streichen." - -
Der alte Fiedler von Burgk ist längst hinübergegangen und ganz bestimmt zur himmlischen Cantorei-Gesellschaft versetzt worden, aber sein ehernes Conterfei steht noch heute am Platze seiner früheren Wirksamkeit. Im Garten des Freiherrn von Burgk hat seine eherne, lebensgroße Statue Aufstellung gefunden, genau in der Positur, wie er den Geistern des Windberges zum Tanze gespielt haben dürfte.
Der Schatz ruht schon längst nicht mehr im Innern des Windberges – man hat ihn gehoben und noch heute sind Hunderte von Bergleuten im Windberge geschäftig, die Schatzkammer der Geister auszuräumen. Das Geschlecht der Freiherren von Burgk ist dazu berufen worden, die Kohlen aus dem unterirdischen Kamine zu gewinnen, welche sich unter seinen Händen in pures Gold verwandeln. So ist der Bann des Zauberschlosses im Windberge gelöst, mit Hülfe des Menschenfleißes und der Wissenschaft, und Tausende erfreuen sich des Segens der eroberten Schätze an „schwarzem Golde“.
Der Herausgeber dieses Buches hat durch sein zu Ende der fünfziger Jahre geschriebenes und unzählige Male im Plauen`schen Grunde und dessen Umgebung aufgeführtes Volksstück: „Rothkopf`s Jürge, der lustige Fiedler von Burgk“ wohl am Meisten zur Popularisierung der obigen Sage beigetragen und freut sich noch heute dieses Erfolges. Freilich mußte er aus Gründen des Theatereffects den Geiger um ca. 30 Jahre verjüngen und demselben eine junge Braut auf den Leib schreiben. –
Der berühmte Windberg, auf welchem unsere Sage spielt, ist die bedeutendste Erhöhung des Plauen’schen Grundes, 351 Meter hoch, und lagert dem dort beginnenden östlichen Erzgebirge als mächtiger Bergrücken vor. Derselbe ist durch den Bergbau vollständig durchhöhlt und hat schon Millionen von Centnern des „schwarzen Goldes“ hergeben müssen. Noch immer ist sein Inneres unerschöpflich. Bekanntlich sind die Steinkohlen des Plauen’schen Grundes weit jüngeren Ursprungs, als die des Zwickau-Oelsnitzer Beckens, da genannter Grund jünger als das Erzgebirge ist und erst mittels Durchbruch des Porphyrs in Mitte der Steinkohlenperiode entstand.
Leider hat der freundliche Windberg in neuerer Zeit durch ein großes Grubenunglück eine traurige Berühmtheit erhalten; am 2. August 1869 geschah in einer der Burgk’schen Kohlengruben in seinem Eingeweide das Entsetzliche, daß 274 fleißige Bergarbeiter durch schlagende Wetter getödtet wurden. „Die Geister der Windberges haben sich wieder gerührt,“ sagten die Leute.
Das Zauberschloss im Windberge
aus: Sachsens Volkssagen von Widar Ziehnert, 1881
1. Von der Schenke in Deuben zu Hause nach Burgk,
unterm Arm die staubige Geige,
schlich Görge, der Fiedler, verdrießlich und sacht
in der mondhellen zweiten Pfingstfeiertagsnacht
auf vielmals gegangenem Steige.
2. Görg war ein gar drolliger, schnurrger Patron
und überall gerne gesehen,
war jedem gefällig, und war wo ein Reihn,
da musste auch Rotkopfs Görge mit sein,
durchs Fiedeln die Luft zu erhöhen.
3. Er war auch nicht teuer mit seiner Musik,
ließ kaum sich die Saiten bezahlen,
und waren die Beutel der Tänzer auch leer,
er fiedelte, bis sich auf weiteres mehr
die liebenden Pärchen empfahlen.
4. Heut hat er mal wieder sechs Stunden gegeigt,
um wenige spärliche Dreier.
Da fiels unterwegs auf einmal ihm ein,
es müßte wohl morgen gefällig schon sein
die noch nicht erfiedelte Steuer.
5. Heut wenig Verdienst und die Steuer so nah,
das lag ihm gar mächtig im Sinne;
drum schlich er nach Hause so verdrießlich und sacht
und sann und sann, wie er noch in der Nacht
die Steuer sich ehrlich gewinne.
6. So kam er zum Windberg mit schwerem Gemüt
Und dachte: „Besinn dich doch, Görge!
Hm, soll nicht im Windberg ein Zauberschloß sein?
Wüßt den Weg ich, gewiß, es erbarmten sich mein
Die kleinen, gutmütigen Zwerge.“
7. Und er steht, stierblickend auf kahles Gestein,
und stutzet und staunet, denn, Wunder!
Der Fels wird lebendig und bildet ein Thor,
draus krabbelt ein aschgraues Männchen hervor
mit Augen wie glühender Zunder.
8. Das Männchen grüßt Görgen und reicht ihm die Hand
und fragt ihn: „Verstehst du zu geigen?“
Und Görg hat ein gutes Gewissen und spricht
sonder Schrecken und Furcht: „Virtuos bin ich nicht, -
doch, Freundchen, das wird sich wohl zeigen.“
9. „Nun gut,“ spricht das Männchen, „so folg mir getrost,
dein harren die Geister im Berge,
und nimm dich zusammen und, wenn man dich fragt,
was dein Lohn ist, da schweig. Jetzt rasch, ehs tagt!“
Und ruhig folgte ihm Görge.
10. Sie gingen durch Felsen, bergauf und bergab,
das Männchen und Görge im Dunkeln,
und kamen zuletzt an ein eisernes Thor,
da lag ein gewaltiger Riegel davor,
verzieret mit sieben Karfunkeln.
11. Da wurde es Görgen doch enger ums Herz;
Denn er dachte: „Gefällt deine Geige
Den Geistern, so darfst du nicht wieder zurück,
wo nicht, so kostets dich gar das Genick.
Auf jeden Fall geht es zur Neige.“
12. Sein Führer schlug drauf mit dem Stecken ans Thor,
es hob sich der mächtige Riegel.
Sie gingen hinein, und fürchterlich
erkrachten die Angeln, es schlossen sich
jach wieder die eisernen Flügel.
13. Was sah nun der Fiedler? – Ein prächtiges Schloß,
von Silber die Türme und Mauern,
die Fenster Demanten, die Dächer Smaragd;
unzählige Fackeln durchstrahlten die Nacht
und erfüllten den Fiedler mit Schauern.
14. Er stand wie vernichtet und wollte das Schloß
neugierig sich näher beschauen,
da zog ihn sein Führer zum riesigen Saal;
dort harrten schon sein in unsäglicher Zahl
die niedlichen Herren und Frauen.
15. Die Wände des Saales erschienen wie Duft,
von würzigen Blumen durchwoben,
krystallene Lampen übergossen den Saal
und die seltsamen Tänzer mit blendendem Strahl
von den Seiten, von unten und oben.
16. Fünf Spannen kaum waren die Männchen lang
im altdeutschen Rittergewande,
die Frauchen noch kleiner, mit Schleiern im Haar,
im blumendurchwobenen Seidentalar
mit perlenumränderter Kante.
17. Als Görg mit der Geige hinein in den Kreis
der festlichen Geister gekommen,
da wies ihn sein Führer zum goldnen Kamin
und sagte: „Nun, Fiedler, beginne, beginn!
und nur hübsch zusammen genommen!“
18. Görg stimmte die Saiten mit zitternder Hand
und straffte und wichste den Bogen,
und spielt einen Walzer. Der Reigen begann,
es hüpften possierlich saalab und saalan
die Pärchen, gleich schaukelnden Wogen.
19. Das war ein Gewimmel, ein Jubel und Tanz,
wie Görge noch niemals gesehen.
Er merkte sogleich, daß sein treffliches Spiel
den tanzenden Herrchen und Frauchen gefiel,
und schiens immer besser zu gehen.
20. Er geigt, so hat er noch niemals gegeigt;
denn himmlische Töne entgleiten
und Weisen, wie Görge sie selbst nicht verstand,
unter seiner noch nie so schnell fingernden Hand
den alten zerfiedelten Saiten.
21. Drob freut er sich höchlichst und geigte drauf los;
doch fand er mit großem Bedauern,
daß die wedelnden Zwerge in lustigen Reihn
wo zweimal so schwer zu ermüden noch sein’n,
als drüben in Deuben die Bauern.
22. Es war ihm, als hätt er seit Stunden gegeigt;
ihn schmerzten die Finger und Hände.
Die Quinte zerschratzte, die Quarte zersprang;
der Tanz währte Görgen so fürchterlich lang,
er erwartete sehnlichst das Ende.
23. Da erscholl es vom Hofe wie Hahnengeschrei,
und im Nu aufhörte der Reigen,
und einer der Tänzer fragte Görgen geschwind:
„Rotköpfiger Fiedler, was hast du verdient?
Sag an, was begehrst du fürs Geigen?“
24. Doch bescheiden hält Görge den Sonntagshut hin
und schweigt, wie sein Führer befohlen.
Und der Zwerg nahm den Hut und ging zum Kamin
und ergriff eine Schaufel und füllete ihn
bis zum Rande mit glühenden Kohlen,
25. Und kreischte: „Da, Fiedler, da hast du den Lohn!“
und verschwand in der schweigenden Menge.
Und Görge zerbiß sich die Lippen vor Wut,
daß man ihn zum Danke den Feiertagshut
vom Tharandter Markte versenge.
26. Da winkt ihm sein Führer zum Saale hinaus
und führt auf dem nämlichen Wege,
auf dem sie gekommen, ihn wieder zurück
und verschwand vor Görgens verwundertem Blick
beim Felsen am Deubener Stege.
27. Der Felsen erhielt seine alte Gestalt.
Drauf schlugen die Glocken in Döhlen.
„Erst eins?“ – denkt Görge – „das kann ja nicht sein,
ich geigte so lange den Geistern zum Reihn;
's kann wenig zum Tage noch fehlen.“
28. Er schüttelte ungläubig den Kopf und meint,
so schnackisch geträumet zu haben.
doch der Hut wird schwer von den Kohlen wie Blei
und beweiset ihm klar, daß es Wirklichkeit sei,
und er schüttet die Kohlen in Graben,
29. Und fluchet den Geistern und stolpert nach Haus
unter heimlicher Sorge und Klage
und schleudert den Hut, von den Kohlen noch warm,
zu Winkel und wirft sich dem Schlaf in den Arm
und schnarchet bis fast zu Mittage.
30. Und als er erwachte, war wieder der Hut
das erste, woran er gedachte.
Er holt aus dem Winkel ihn wieder, und ei!
Er war nicht versengt, war so gut noch wie neu,
daß Görge vor Freude drob lachte.
31. Er beguckt ihn von innen und außen genau.
Da blitzt ihm ein Goldstück entgegen,
an Schrift und an Wappen so unbekannt,
wie die Geister der Berge mit zaubernder Hand
sie münzen und stempeln und prägen.
32. „Ha, ha,“ – denkt Görge, - „nun wird mirs klar;
So – so – das waren die Kohlen?“
Und er eilt mit dem Hute im flüchtigsten Lauf
den steinichten Fußsteig am Windberg hinauf,
aus dem Graben die andern zu holen.
33. Sie lagen noch alle da, schwarz und verbrannt,
er sammelt sie eilig im Hute
und schüttelt und rüttelt und schwenket und rollt,
und die Kohlen, o Wunder! Sie werden zu Gold,
und Görgen wards seltsam zumute.
34. Heim eilt er und küsset die Geige und weint
viel Thränen des Dankes darüber.
„Das Gold? Ja es langt schon zu Feld und zu Haus!“
Drauf springt er wie närrisch zur Thüre hinaus
und flugs zu dem Nachbar hinüber.
35. „Gott grüß euch! Ist Hannchen, ist Hannchen nicht da?
He, Nachbar, nun darf ich sie nehmen?
Und wollt ihr, wird heut noch die Trauung bestellt;
Denn hört nur, nun hab ich ein Gut und ein Feld,
und ihr braucht euch mein nimmer zu schämen.“
36. Der Nachbar ruft lächelnd das Mädel herein
und wirft es dem Fiedler entgegen:
„Da nehmt sie. Ich geb ihr als Mitgift dazu
ein Füllen und eine neumelkende Kuh.
Gott schenk euch Gedeihen und Segen!“
37. Görg kaufte ein Gütchen und wurde getraut
und bald auch „Herr Schulze“ betitelt,
war glücklich mit Hannchen und fragte ihn wer:
„Wo tausend, wo habt ihr den Engel denn her?“
da sagt er: „Im Windberge erfiedelt!“
Rotkopfs Jürge der Geiger
aus: Der Plauensche Grund und seine Höhen von Robert Nitzsche, 1858
Rotkopfs Jürge, wie dies bekannt,
War ein gar wackerer Musikant;
Sein gut geübtes Geigenspiel
Den Leuten immer wohlgefiel.
Er rührte die Herzen mit Gewalt
Und liebte ihn deshalb jung und alt,
An allen Orten und Enden
Trug man ihn schier auf Händen.
Wo Kirmes war und sonst manch Fest,
Wie solches ja sich denken läßt,
Da mußte auch, wollt man sich freun,
Der Geiger Rotkopfs Jürge sein.
Sein Spiel war gar so wundersam,
Daß es gleich jedem überkam,
Sobald er nur die Saiten rührt‘
Und er den ersten Strich geführt.
Denn spielte er ein lustig Stück,
Ward heiter bald der trübste Blick –
Und war es eins zum Traurigsein,
Da flossen bald die Thränen drein.
So spielte er wohl manches Jahr
Auf seiner Geige wunderbar;
Doch wo er sich auch noch gezeigt
Und wo sein Stücklein er gegeigt,
Es gingen aus breiten Händen
Ihm zu des Beifalls milde Spenden.
Das war ein fröhlich Spielmannssein!
Indes, wer kannte Jürgens Pein?
Es hatte tief sich in sein Herz
Gelagert ein gar großer Schmerz,
Den trieb er niemals ganz hinaus,
So viel er geigt von Haus zu Haus.
Doch tröstend blieb sein Geigenspiel
Dem Herzen, dem nichts mehr gefiel,
Seit Gift in seinen Adern floß
Und es, voll Wunden, sich verschloß.
Die Freude ist oft schnell verweht!
Man weiß ja, wie’s im Leben geht:
Spott und Verleumdung reichen hin,
Zu trüben einen heitern Sinn.
Und Spott hat auch den Jürg getroffen
Daheim, wo seiner Seele Hoffen
Ihm eine schöne Zukunft pries,
Da er sein Spiel ertönen ließ.
Wie alle treuen Spielmannssöhne,
So lebt er in dem Reich der Töne.
Das Irdische, es stand ihm fern,
Der Töne Macht war nur sein Stern.
Doch wars sein Unglücksstern wohl auch.
Wenn andre nach der Jugend Brauch
Vergnügten sich bei Tanz und Wein,
Blieb er daheim, blieb er allein
Und spielte auf der Geige traut
Ein Stückchen leis sich oder laut.
Die anderen Burschen wurmte das,
Daß er nicht teilte ihren Spaß;
Sie meinten, dies Fürsichallein
Könnt‘ nichts als Jürgens Hochmut sein,
Und ward der Haß nun so erweckt,
Daß man den Jürgen täglich neckt,
Manch scharfer Pfeil ward abgesandt;
Und weil er nie vom Spiel sich fand
Und dies fast nur allein noch trieb,
Nennt man ihn bald den Tagedieb.
Das ward dem Vater doch zu toll,
Und er gebot dem Sohn mit Groll:
„Leg weg von dir das Geigenspiel,
Bestreb dich um ein bessres Ziel!
Schaff mir die Geige aus dem Haus,
Sonst fliegt sie auf den Hof hinaus!“
Der Jürge kennt des Vaters Wort,
Er änderts nicht; drum trägt er fort
Die Geige in ein fernes Haus,
Auf daß sie niemand mittle aus.
Wohl sucht er nun des Vaters Willen
Nach besten Kräften zu erfüllen.
Er schirrt die Pferde ohn Verzug,
Geht mit den Knechten an den Pflug;
Doch mißbehagt ihm diese Bahn,
Und wenn der Abend kam heran,
Da geht’s bald fort in raschem Lauf,
Schnell sucht er seine Geige auf
Und spielt dann oft die halbe Nacht,
Bis früh der Hahnenschrei erwacht.
Die Mutter hat den Tritt vernommen
Wohl oft, wenn Jürg nach Haus gekommen
Und er zur Kammer leis sich schlich.
Sie bat ihn oftmals flehentlich,
Er möcht dies Treiben unterlassen,
Das selbst sich schicklich nicht woll zu passen,
Wenn er zur Nachtzeit, wie geschehn,
So spät vom Hause wird gesehn.
Doch halfs zu nichts, dem Jürge blieb
Sein Geigenspiel wie früher lieb.
Da ward ein Plänchen ausgeheckt,
Ein hübsches Bräutchen bald entdeckt,
Das man dem Jürge geben wollt,
Daß er die Narrheit lassen sollt;
Denn also nannte man sein Spiel,
So guts den Leuten auch gefiel.
Doch Jürge schlug die Heirat aus.
Da trug die Kunde man ins Haus,
Daß Jürge, wo die Geige sei,
Ein Mädchen liebe brav und treu.
Das treibt den Vater alsobald,
Daß er dem Jürge folgt zum Wald;
Dort tritt er in ein kleines Haus,
Aus dem die Armut schaut heraus.
Der Zorn bricht los: „Hinaus, hinaus!
Du Ungeratner, aus dem Haus
Der feilen Dirne! Schäme dich,
Du freche Buhlin, willst du mich
Betrügen um den Sohn? Weh dir –„
Und seine Faust fährt hin nach ihr.
Da springt der Jürge mannhaft zu:
„Das Mädchen stört nicht deine Ruh!
Nur meine Geige wahrt sie mir;
Ich bitte dich, laß ab von ihr!“
Und hui, da fällt ein Backenstreich,
Und auch ein zweiter folgt sogleich
Auf Jürgens Antlitz; doch da stellt
Das Mädchen sich dazwischen, hält
Dem Manne die Hände. „Rühre dich!“
Spricht sie, - und wags – beschimpfe mich!
Das macht den Alten schreckensblaß,
Daß keck das Mädchen sich ihm maß.
„Geh, Jürge, heim,“ spricht sie nun leis,
„Dein Vater folgt dir; geh – ich weiß,
Daß wir einander nicht gehören –
Ich will den Frieden auch nicht stören! – „
Im Aug der Thränen hellen Schein,
Flieht schluchzend sie ins Kämmerlein.
Der Alte aber läßt sein Drohn,
Nimmt hastig bei der Hand den Sohn
Und bringt ihn so ins Dorf zurück.
Die Mutter kommt und wünscht ihm Glück.
Doch als sie traten nun ins Haus,
Bricht bald der Zorn aufs neue aus.
Man hört des Vaters Donnerworte
Am Eingang drüben bei der Pforte:
„Noch einmal, Jürge, - sprich es laut:
Willst du die vorgeschlagne Braut?“ –
„Nein, nein!“ – so hört mans wiederhallen.
Ein Schlag – und drauf ein dumpfes Fallen;
Der Jürge ächzt am Hause hin,
die Mutter jammert auf den Knien –
Den Vater aber hört man schelten:
„Ich will dir deinen Trotz vergelten:
Flieh hin, du ungeratner Bube!
Nie nah dich wieder meiner Stube!
Niemals tritt vor mein Angesicht;
Ich hasse dich; ich kenn dich nicht!
Ich stoße dich von Hof und Haus –
Verflucht zieh in die Welt hinaus!“
Der Jürge spricht kein einzges Wort;
Entsetzt flieht er vom Hause fort,
Flieht hin zu der Geliebten Haus
Und bittet sich die Geige aus.
„Mein Schatz, mir ist nicht wohlgethan -
Leb wohl, leb wohl! – Blick himmelwärts
Der Heiland stille deinen Schmerz!“
Und fort geht’s über Berg und Thal.
Mit seiner Herzensnot und Qual
Zieht Jürge nun ins weite Land,
Nichts als sein Geigenspiel zur Hand.
Dem aber klagt er all sein Weh.
Bald hier zu Thal, bald dort zur Höh
Hebt an sein Spiel er süß und traut,
Jetzt leisen Tons, dann stürmisch laut,
Wie just der Schmerz die Hand ihm führt,
Mit der die Saiten er berührt.
Und wunderbar, die Leute gehen
Vorüber selten nur, sie stehn
Gebannt beim Geiger, lauschen still.
Den aber kümmert nur sein Spiel,
Sein Herzeleid, sein tiefer Gram,
Sein Elend, das so jählings kam.
Der Gaben hat er oft kaum acht,
Die man ihm freundlich zugedacht,
Nie lächelte dabei sein Blick,
Voll Ernst trug er sein Mißgeschick.
Es führt des Geigers Wanderbahn
Zuletzt im Plau’nschen Grund heran.
Wie lächelte das schöne Thal
Im heitern Frühlingssonnenstrahl!
Hier, wo die Menschen freundlich schauen,
Meint er, hier sei gut Hütten bauen.
Kurz, da der Grund ihm wohlgefiel,
Beschloß er hier sein Reiseziel.
Auf seiner Geige wunderbar
Hat er gespielt so manches Jahr,
Und längst schon ist er hier bekannt
Als Geiger Rotkopfs Jürg genannt.
Einstmals nach Sonnenuntergang,
Lockts ihn noch hin zum Waldeshang,
Und lenkt zum Windberg seinen Schritt,
Auch hier führt er die Geige mit. –
Doch welche Herrlichkeit erschloß
Das Spiel diesmal, als es braust los
In wilden ungestümen Weisen
Als sollten schier die Saiten reißen.
Dann wieder wars ein närrisch Spiel,
Daß es zum Lachen wohlgefiel,
So lustig plötzlich umgetauscht
Als sei der Geiger gar berauscht;
Und wieder klang es leis und sacht
Wie kläglich Wimmern in der Nacht,
So schmerzensweich und wehmutsvoll,
Daß manchem Aug die Thrän entquoll;
Selbst dort im Dorf lauscht man dem Spiel,
Daß heut ertönt, als fänds kein Ziel.
Doch als nun naht die Mitternacht
Und Jürg beim Spiel kein Ende macht,
Ist man verwundert schier und glaubt,
Dem Jürg sei der Verstand geraubt.
Man rät daher, hinaufzusehn,
Was eigentlich ihm sei geschehn,
Und brachen junge Burschen auf,
Zu folgen Rotkopfs-Jürgens Lauf.
Doch als man kam zum Wald hinan,
Trifft niemand mehr den Geiger an.
Man ruft den Jürge, horcht und lauscht,
Umsonst, sein Spiel ist auch verrauscht.
Doch als die Burschen heimwärts gehen,
Dünkts ihnen, daß sie Jürgen sehen
Mit einem Männlein Hand in Hand
Hineilen an des Waldesrand.
Wohl ruft man Jürges Namen laut,
Der Jürge hat nicht umgeschaut,
Und weiß bis heutgen Tag kein Christ,
Was aus dem Geiger worden ist.
Sage von der Burg auf dem Windberg
aus: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen (Band 2), ein Beitrag von Moser, 1856
Hoch über alle Gebirge und Felsenhöhen des Weisseritzthales thürmt sich der mächtige Windberg empor, und die Sage behauptet, dass einst auf seinem Gipfel eine Burg der Grafen von Dohna oder Donyn, die Weissenburg, stand, welche dieses mächtige Dynastengeschlecht sammt der nahen Burg Rabenau im Jahre 1318 vom Markgrafen Friedrich von Meissen in Lehn empfangen haben soll. Von dieser Burg ist indessen keine Spur mehr vorhanden, ebensowenig wie von einer noch älteren Burg, die Wendeburg genannt, die zu den Zeiten Kaiser Heinrichs des Vogelstellers auf der Höhe des Windbergs erbaut wurde. Eine allerliebste Volkssage erzählt dagegen von einem Zauberschlosse im Inneren des Windberges, das ungeheure Schätze bergen soll; und wenn auch die Existenz der Geisterburg zu bezweifeln ist, so birgt doch der Windberg mit einem weiten Umkreise ungeheure unterirdische Schätze, die freilich nicht in Gold und Silber, wohl aber in den unerschöpflichen Kohlenlagern bestehen, welche auf viele Jahrhunderte hinaus eine Goldquelle für ihre Besitzer und eine Erwerbsquelle für Tausende rüstiger Arbeiter bilden.
Beitrag zur Geschichte der Wendenburg
aus: Petzholdt, 1842
Der Windberg ist in mancherlei Hinsicht des Besuches wohl wert; denn wenn auch diejenigen, welche, in der Hoffnung auf den Genuß einer umfassenden Aussicht, den Berg zu ersteigen sich nicht gescheut haben, selten in ihren Erwartungen sich befriedigt sehen, weil die Umsicht vom Gipfel an vielen Stellen durch Waldung verhindert wird, so giebt es doch noch manches andere, dessen Erinnerung und Besichtigung die Mühen des Steigens vergessen macht. Schon der Gedanke an die alte Wendenburg, die auf dem Windberge gestanden haben soll, mag für viele anziehend genug sein; ist sie doch für manche so anziehend gewesen, daß sie vor lauter Schwelgen in der Erinnerung an die früheren Zeiten nicht einmal dazu Zeit gehabt haben, um eine Untersuchung über die Wahrscheinlichkeit einer solchen Burg sich zu bekümmern. Und dennoch ist das Bestehen einer Wendenburg auf dem Windberge weder durch die Geschichte, noch durch den Namen des Berges, der, bloßen Vermutungen zufolge, Wendenburg gelautet haben soll, noch durch den Namen des Dorfes Burgk auch nur einigermaßen verbürgt; denn daß Burgk von der Wendenburg seinen Namen erhalten habe, ist lediglich eine Erfindung von Leuten, denen die richtige Ableitung von Boragk unbekannt geblieben ist, und mit der Erklärung des Wortes „Windberg,“ dessen Name ohnehin durch den auf dem Berge nie schweigenden Luftzuggerechtfertigt erscheint, mag es einen nicht viel bessere Bewandtnis haben. Aber die Keller und der Brunnen, wovon man noch in der neuesten Zeit deutliche Spuren bemerkt haben will, ob sie von der alten Wendenburg herrühren, oder von dem späteren Schlosse, dem – man weiß nicht recht von wem, vielleicht gar nur von der Einbildungskraft müßiger Leute – ein Platz angewiesen worden ist, oder ob die Spuren mit den Schanzarbeiten aus der Zeit des 7jährigen Krieges in irgend einem Zusammenhange stehen, wer entscheidet dies?“
Zweite Sage vom Windberg, die sich ältere Leute erzählen
aus: Leßke, 1892
Vor noch nicht gar zu langer Zeit kam eine Frau, ihr Kind auf den Armen tragend, gegen Abend durchs Üferchen. Das Kind hatte einen bösen Finger. Plötzlich kam auf sie ein Männchen zu und forderte sie auf, mit ihm zu gehen, ihr versprechend, daß er dem Kinde helfen und den Finger heilen wolle, ohne daß ihr auch das geringste Leid geschehen solle. Die Frau war indessen nicht zu bewegen, dem Männchen in den Windberg zu folgen. Da erwiderte dasselbe: „So muß ich noch 90 Jahre warten, bis wieder ein Kranker kommt.“ Hierauf verschwand es